Weniger Lebensmittelabfall im Haushalt mit dem Leitfaden gegen Food Waste
Forscherinnen zeigen, wie wir Lebensmittelabfall reduzieren können – ohne Moralkeule, aber mit überraschend grosser Wirkung. Das Resultat ist ein praktischer Leitfaden mit Tipps gegen Food Waste.

Kurz & bündig
Im Forschungsprojekt «Gerettet statt weggeworfen» reduzierten Haushalte ihren Food Waste messbar – mit erstaunlich einfachen Mitteln.
«Schon das Einschätzen des eigenen Food Waste verändert das Bewusstsein», sagt Agroscope-Forscherin Michaela Schöni.
Clevere Menüplanung, richtige Lagerung und Resteverwertung senken den Lebensmittelabfall um bis zu 36 Prozent.
Aus dem Forschungsprojekt entstand ein neuer Leitfaden, der zeigt, wie Haushalte mit wenig Aufwand Lebensmittelabfälle vermeiden – und dabei Geld und Ressourcen sparen.
In jedem Haushalt landen 10 bis 25 Prozent der eingekauften Lebensmittel als Food Waste im Abfall. Verdorben, vergessen oder falsch eingeschätzt. Ein grosser Teil davon wäre vermeidbar. Studien zeigen, wie gravierend das Problem ist:
🇩🇪 Deutschland: 78 Kilo pro Person/Jahr im Wert von 570 Euro
🇨🇭 Schweiz: 90 Kilo pro Person/Jahr im Wert von 660 Euro
🇦🇹 Österreich: 131 Kilo pro Person/Jahr im Wert von 990 Euro
Der höhere österreichische Wert ergibt sich wahrscheinlich aus unterschiedlichen Messmethoden. Bei gleichen Kriterien läge der Wert auch in Österreich bei 78 bis 90 Kilogramm pro Person und Jahr.
«Diese Lebensmittelabfälle belasten nicht nur Umwelt und Klima, sondern auch das Haushaltsbudget», betont Michaela Schöni.
Das Potenzial ist beträchtlich: Wenn die Haushalte diese 10 bis 25 Prozent weniger einkaufen würden, könnten sie grosse Mengen Lebensmittel und Geld sparen. Wie sich Lebensmittelabfälle vermeiden lassen, wollten Michaela Schöni und Jeanine Amman in ihrem Forschungsprojekt zeigen.
Michaela Schöni und Jeanine Amman arbeiten als Forscherinnen bei Agroscope, der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt der Schweiz. Gemeinsam mit Rahel Sandra Birrer vom Schweizerischen Agrarmuseum Burgrain haben sie einen Leitfaden entwickelt, der zeigt, wie Haushalte ihren Lebensmittelabfall reduzieren können.

Für das Experiment «Gerettet statt weggeworfen» schätzen 47 Haushalte ihren Food Waste
Schöni und Amman führten 2024 mit 47 Haushalten das partizipative Projekt «Gerettet statt weggeworfen» durch. In der ersten Woche schätzten die Teilnehmenden ein, welche Lebensmittel sie wegwarfen und warum.
Danach erhielt die Hälfte der Haushalte ein persönliches Informationsblatt mit konkreten Tipps zur Abfallreduktion – abgestimmt auf ihre eigenen Ergebnisse der ersten Woche. Ziel war, alltagstaugliche Veränderungen anzustossen.
Die zweite Hälfte der Haushalte machte weiter wie zuvor. Könnte man zumindest denken. Tatsächlich warfen beide Gruppen im zweiten Teil des Projektes weniger weg:
36 Prozent weniger Lebensmittelabfälle mit Informationsblatt
22 Prozent weniger Lebensmittelabfälle ohne Informationsblatt
«Schon das Einschätzen des eigenen Food Waste verändert das Verhalten», sagt Michaela Schöni. Es braucht also nur kleine Aha-Momente statt einen grossen Verzicht.
Viele TeilnehmerInnen berichteten, wie stark alleine das Einschätzen ihres Food Waste ihr Verhalten veränderte. Drei Einsichten tauchten dabei immer wieder auf:
Geplante Einkäufe und Menüs reduzieren Abfall spürbar
Rüstabfälle lassen sich kreativ verwerten
Der Austausch mit anderen motiviert und hält langfristig dran

KonsumentInnen und ForscherInnen erarbeiten konkrete Tipps gegen Food Waste
«Mengenmässig werden am meisten essbare Rüstabfälle weggeworfen, gefolgt von Essresten, Gemüse und Früchten», erklärt Michaela Schöni. Etwas weiter hinten in der Rangliste liegen Brot sowie Milchprodukte.
Im Juni 2025 trafen sich die Teilnehmenden des Projekts im Agrarmuseum Burgrain zu einem Workshop. Dort entwickelten sie gemeinsam mit den Agroscope-Forscherinnen praxistaugliche Lösungen für einen bewussteren Umgang mit Lebensmitteln im Alltag: den neuen Food Waste-Leitfaden.
«Kaum jemand wird jedes Mal vor dem Blick in den Kühlschrank im Internet nach Tipps suchen», sagt Schöni, «den Leitfaden kann man aber einfach an die Kühlschrank-Türe hängen».

Kleine Routinen haben in der Küche haben grosse Wirkung auf den Food Waste
Ich habe den Food Waste-Leitfaden selbst in meiner Küche getestet.
In meinem Kühlschrank herrscht jetzt Ordnung mit System. Im mittleren Regal steht eine rote Frischhaltedose mit Resten vom Vortag. Daneben orange Frischhaltedosen mit reifem Obst oder Gemüse. Das ist mein persönliches «Iss-mich-zuerst»-Regal.
Wer im Voraus plant, kauft bewusster ein und wirft weniger weg. Neu habe ich in meinem «Küchen-iPad» einen Menü-Wochenplan. Zwei Tage sind als Reste-Tage reserviert. Was früher im Kompost landete, gibt es an diesen Tagen als Auflauf, Suppe oder Sandwich.
Die richtige Lagerung: Der Kühlschrank sollte nicht wärmer als 5 Grad Celsius sein. Fleisch und Milch gehören ins untere Fach, Konfitüre nach oben, Gemüse unten in die Schublade.
Und das Haltbarkeitsdatum? «Mindestens haltbar bis» heisst nicht «tödlich ab». Das ist der Unterschied zwischen Mindesthaltbarkeitsdatum und Verbrauchsdatum. Viele Produkte bleiben bei richtiger Lagerung weit über das Datum hinaus geniessbar. Geruch und Geschmack sind verlässlichere Indikatoren als das Etikett.
Brot kaufe ich jetzt in der «Äss-Bar». Diese verkauft nach dem Motto «frisch von gestern» schweizweit Brot und Backwaren vom Vortag zu stark reduzierten Preisen. Das eingesparte Geld investiere ich in Zimtschnecken. Von denen bleibt nie etwas übrig. In Deutschland gibt es yesternday, in Österreich die brotpilot:innen.
Falls Brot übrig bleibt, landet es als Croutons im Salat oder wird zu Fotzelschnitten, der Schweizer Variante der Armen Ritter.
Eine weitere Entdeckung heisst Leaf-to-Root – vom Blatt bis zur Wurzel alles nutzen. Die Idee stammt von der Schweizer Food-Journalistin Esther Kern (Link am Ende des Textes).
Leaf-to-Root ist die vegetarische Entsprechung zu Nose to Tail, in der Schweiz liebevoll «Vom Schnörrli zum Schwänzli» genannt. Diese Redewendung bringt bäuerliche Sparsamkeit und kulinarischen Respekt besser auf den Punkt als jeder Trendbegriff.
Seither verwende ich auch das, was früher im Kompost landete: den Broccoli-Strunk im Curry, Radieschen-Blättern im Pesto und Karotten-Grün im Gemüse-Fonds.
Es braucht nicht viel – nur ein bisschen Planung und den Willen, kein Lebensmittel achtlos wegzuwerfen.
Was im Küchen-Alltag wirkt wirklich gegen Food Waste hilft
Laut Michaela Schöni und Jeanine Ammann braucht es keine radikalen Umbrüche, sondern viele kleine Gewohnheiten. Entscheidend ist das Bewusstsein – und das entsteht, sobald man genauer hinschaut.
Besonders wirksam sind einfache Routinen:
Ein Menü-Wochenplan mit Reste-Tagen
Eine Einkaufsliste nach dem Menü-Wochenplan statt Spontankäufe
Ordnung und Überblick im Kühlschrank
«Am wirkungsvollsten ist es, Lebensmittel als wertvoll zu begreifen – auch jenseits des Mindesthaltbarkeits-Datums», sagt Michaela Schöni. Wer sich auf seine Sinne verlässt statt auf das Etikett, wirft weniger weg.
Rückmeldungen aus dem Projekt zeigten ihr: Praktische Tipps helfen, aber erst die Reflexion über das eigene Verhalten sorgt für dauerhafte Veränderung. Oder, wie eine Teilnehmerin sagte: «Ich habe nicht weniger gekauft, aber bewusster gekocht – und fast nichts mehr entsorgt.»
Food Waste ist also kein technisches Problem, sondern eine Frage der Haltung. Veränderung beginnt mit Aufmerksamkeit. Tag für Tag, Kühlschrank für Kühlschrank. «Schon kleine Anpassungen im Alltag summieren sich, wenn viele sie umsetzen.»

Vom Forschungsprojekt mit 47 Haushalten zur Bewegung gegen Food Waste
Was mit 47 Haushalten begann, wächst zu einer Bewegung heran. Der Leitfaden ist mehr als eine Sammlung von Tipps – er ist eine Einladung zum Mitmachen. Wer einmal realisiert hat, wie schnell wertvolle Lebensmittel im Abfall landen, verändert sein Verhalten nachhaltig.
Immer mehr Menschen entdecken, dass ein bewusster Umgang mit Lebensmitteln kein Verzicht ist, sondern Selbstwirksamkeit: Brot retten, Reste verwerten, Haltbarkeitsdaten hinterfragen – kleine Handlungen mit grosser Wirkung.
Die stille Food Revolution beginnt im eigenen Kühlschrank
Am Ende des Projektes bleiben keine grossen Worte, sondern kleine Veränderungen: ein Menü-Wochenplan, ein paar farbige Frischhaltedosen im Kühlschrank, Brot «frisch von gestern» (und ich gebe es zu: zuckersüsse Zimtschnecken). Eine Routine, die fast beiläufig entsteht – und bleibt.
Man muss erlebt haben, wie sich das schlechte Gefühl beim Wegwerfen in Zufriedenheit verwandelt, wenn nichts mehr ungenutzt bleibt. Dann versteht man, was Michaela Schöni meint, wenn sie sagt: «Schon das Messen des eigenen Food Waste verändert das Bewusstsein.»
Leitfaden und ergänzender Bericht als PDF zum Download
📕 «Ein praktischer Leitfaden zur Reduktion von Food Waste in Haushalten.»
Michaela Schöni & Jeanine Ammann
Agroscope und Swiss Academy of Humanities and Social Sciences. 2025, 20 Seiten (de/ital./franz./engl.). Finanziert durch die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften SAGW
📗 «Gerettet statt weggeworfen: Gemeinsam gegen Food Waste.»
Michaela Schöni & Jeanine Ammann
Agroscope und Swiss Academy of Humanities and Social Sciences. 2025, 7 Seiten (de)
Buch-Bestellung von «Leaf to Root – Gemüse essen vom Blatt bis zur Wurzel»
📘 «Leaf to Root – Gemüse essen vom Blatt bis zur Wurzel»
Esther Kern, Pascal Haag, Sylvan Müller
70 vegetarische Rezepte, Reportagen und Porträts sowie Nachschlagewerk zu den essbaren Teilen von 50 Gemüsesorten.
AT-Verlag, 320 Seiten
65.00 CHF
ISBN 978-3-03800-904-7


