Schweizer Eierbranche schafft das Kükentöten ab und setzt auf High-Tech, Bruderhähne und Zweinutzungs-Hennen
Die Schweizer Eierbranche hat zur Abschaffung des Kükentötens zwei Lösungen gefunden: Bio Suisse setzt auf Bruderhähne und Zweinutzungs-Hennen, die konventionellen Eier-Produzenten auf High-Tech.

Die schlechte Nachricht zuerst: Jedes Jahr werden in der Schweiz 3 Millionen männliche Küken gleich nach dem Schlüpfen getötet, weltweit sind es jährlich etwa 2,5 Milliarden. Diese männlichen Küken der heutigen Hybrid-Legehennen werden getötet, weil ihre Aufzucht zu Mast-Poulets nicht rentabel ist.
Die gute Nachricht: Seit 1. Januar 2020 ist das Schreddern männlicher Küken in der Schweiz verboten. Stattdessen werden die Küken in den zwei Schweizer Brütereien mit Kohlenstoffdioxid (CO2) vergast.
Die noch bessere Nachricht: Ab 1. Januar 2025 werden in der Schweiz überhaupt keine männlichen Küken mehr getötet. Die konventionelle Schweizer Eierbranche hat eine weltweit einmalige Branchenvereinbarung getroffen, mit der das Geschlecht der Küken bereits im Ei bestimmt wird. Und Bio Suisse setzt auf Bruderhähne und Zweinutzungs-Hennen.
Wieso werden die männlichen Küken getötet?
Die heutigen Hybrid-Legehennen haben weniger mit dem ursprünglichen Bankivahuhn (Gallus gallus) zu tun, als das Bankivahuhn mit einem Dinosaurier. Die Ur-Hühner legten höchstens drei Mal im Jahr fünf bis sieben Eier, also etwa 20 Eier pro Jahr.
1950 legten die Hühner schon 120 Eier pro Jahr. Wobei die Legehennen unserer Grosseltern nach ihrer Legezeit meist als Suppenhuhn im Kochtopf landeten.
Die heutigen hochgezüchteten Hybrid-Legehennen legen dagegen 320 Eier in einem Jahr. Nach 12 bis 15 Monaten werden sie durch junge Legehennen ersetzt. Während die «alten» Legehennen früher in Biogasanlagen zur Energiegewinnung landeten, werden sie heute zu rund 80 Prozent als Legehennenfleisch wie Suppenhuhn, Burgern, Nuggets oder Würsten sinnvoll verwertet.
Was bei allen «Züchtungserfolgen» bleibt: Auch Hybrid-Legehennen legen 50 Prozent ihrer Eier mit männlichen Küken. Und diese legen später als Güggel naturgemäss keine Eier.
Männliche Küken entwickeln sich als sogenannte Bruderhähne zudem langsamer als weibliche Küken der Legehennen-Rassen:
22 Tage: Mistkratzerli (Stubenküken), 600 Gramm
28 Tage: Grill-Poulet, 1,2 Kilogramm
35 Tage Brat-Poulet, 1,8 Kilogramm
63 Tage: Bruderhahn, 2,0 Kilogramm
Bruderhähne brauchen doppelt so viel Futter wie Küken aus Mastpoulet-Rassen und liefern trotzdem nur ein Drittel so viel Fleisch wie ein Mast-Poulet. Deshalb werden die männlichen Küken «aussortiert».

Die Schweizer Eierbranche schafft das Kükentöten mit einer Branchenlösung ab
Die Schweizer Eierbranche hat damit – wie die Eierbranche weltweit – ein unschönes Problem. Nicht zuletzt auch ein Imageproblem bei den Konsumenten. Denn das Kükentöten ist ein sehr emotionales Thema.
Trotzdem isst jeder Schweizer jährlich 184 Eier (zum Vergleich: In Deutschland 235 Eier, in Österreich sogar 240 Eier).
2019 wurden in der Schweiz erstmals über eine Milliarde Eier produziert (und eine halbe Milliarde Eier importiert).
80 Prozent Eier aus konventioneller Produktion
20 Prozent Eier aus Bio-Produktion
In einem vier Jahre dauernden Verfahren kamen die zwei Sektoren der Schweizer Eierbranche (konventionell und Bio) auf zwei unterschiedliche Branchenlösungen. Diese treten ab 2025 (konventionell) respektive 2026 (Bio Suisse) in Kraft.
Bio Suisse setzt auf Bruderhähne und Zweinutzungs-Hennen
Für die eher dogmatische Bio Suisse ist die In-ovo-Methode zur Geschlechtsbestimmung genauso wie die Gen-Schere (CRISPR/Cas) «keine ethisch vertretbare Alternative zum Kükentöten». Diesen Grundsatzentscheid fällten die Delegierten von Bio Suisse im August 2022.
Stattdessen stellen die Eier-Produzenten von Bio Suisse ihre Aufzucht schrittweise um auf die Aufzucht von Bruderhähnen, die männliche Küken von Legehennen.
«Aktuell werden schon über die Hälfte der männlichen Küken als Bruderhähne aufgezogen», erklärt David Herrmann, Verantwortlicher der Medienstelle von Bio Suisse. Bis Ende 2025 müssen es 100 Prozent Bruderhähne sein.
Die weissen Junghähne sind schlanker und zierlicher als klassische Masthühner. Die Fleischstücke sind kleiner als jene vom Mast-Poulet, das Fleisch hat eine ungewohnte Struktur und ist nicht so weiss wie vom Mast-Poulet.
Es ist deshalb noch ungewiss, ob die Bruderhähne von den KonsumentInnen akzeptiert werden – und wie Bio Suisse im Fall einer «Verweigerung» durch die KonsumentInnen reagieren wird.

Die konventionelle Eierbranche setzt auf In-ovo-Geschlechtsbestimmung
In der konventionellen Schweizer Eierbranche erfolgt die Umstellung auf die Geschlechtsbestimmung im Ei (In-ovo) und im Unterschied zu Bio Suisse auch in einem Schritt. Die Geräte dafür werden in den zwei Schweizer Brütereien bis Ende 2024 in Betrieb genommen:
Animalco in Staufen AG
Ab 2025 sollen in den zwei Schweizer Brütereien keine männlichen Küken mehr ausgebrütet werden.
Die Fehlerquote von 2 Prozent der In-ovo-Geschlechtsbestimmung können die konventionellen Schweizer Brütereien verschmerzen. Mit den daraus geschlüpften männlichen Küken werden wie bisher die Tiere in Schweizer Zoos, Terrarien und Wildparks gefüttert.
Die Schweiz ist damit weltweit das erste Land, in dem die gesamte Eierbranche – konventionell und Bio – je eine eigenständige, flächendeckende und ausgereifte Lösung umsetzt.
«Branchenlösungen sind generell der besseren Weg»
«Diese Branchenlösung war nur dank der Geduld und dem Vertrauen von Politik, Behörden und Konsumenten möglich», erklärt Daniel Würgler, Präsident von GalloSuisse, dem Verband der Eierproduzenten.
«Die Schweizer Eierbranche hat die Zeichen der Zeit erkannt, vorausschauend agiert und ihren Handlungsspielraum genutzt», lobt Martin Reist, Leiter Tiergesundheit und Tierschutz im Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV.
Branchenlösungen sind gemäss Reist «generell der besseren Weg, weil sie oft für alle Beteiligten fairer sind und deshalb mit mehr Motivation umgesetzt werden.» Ausländische Kollegen würden ihn um diese Branchenlösung beneiden, erklärt Martin Reist.
Für die In-ovo-Geschlechtsbestimmung wird nun parallel zur Branchenlösung die Tierschutzverordnung geändert. Künftig wird es erlaubt sein, männliche Küken anhand der Geschlechtsbestimmung vor dem Einsetzen des embryonalen Schmerzempfindens auszusortieren und zu eliminieren.

Wie funktioniert die In-ovo-Geschlechtsbestimmung?
Die In-ovo-Geschlechtsbestimmung erfolgt schon am 11. oder spätestens 12. Tag der Bebrütung, also frühzeitig vor dem Einsetzen des embryonalen Schmerzempfindens am 15. Tag. Eine intelligente Bildgebungs-Technologie kombiniert dafür eine beschleunigte Magnetresonanztomographie MRT und Künstliche Intelligenz KI.
Mit diesem Verfahren können pro Stunde 3000 Eier durchleuchtet werden. Die Eier mit männlichen Embryonen werden sofort aussortiert und als Tierfutter verwendet oder zur Energiegewinnung in eine Biogasanlage gebracht.
Die Schweizer Eierbranche arbeitet dafür für die nächsten fünf Jahre mit dem Münchner Unternehmen Orbem und dessen Automatisierungspartner Vencomatic Group zusammen. Nach Ablauf dieser Zeit dürften noch bessere Verfahren zur Verfügung stehen.
Die In-ovo-Geschlechtsbestimmung kostet 1 bis 1,5 Rappen pro Ei
Der Ausstieg aus dem Kükentöten in der konventionellen und biologischen Eier-Produktion hat seinen Preis. In der konventionellen Eier-Produktion kostet die In-ovo-Geschlechtsbestimmung 3 Franken pro weibliches Küken, das später zur Eier-Produktion genutzt werden kann.
Bei einer Produktion von maximal 320 Eiern pro Legehenne und Jahr werden damit die verkaufsfähigen Eier um 1 bis 1,5 Rappen teurer. Bei einem Preis von 60 Rappen (konventionell, Bodenhaltung) bis 80 Rappen (konventionell, Freiland) pro Ei ist das für die Konsumenten kaum relevant.
Die Akteure der ganzen Wertschöpfungskette haben sich dazu verpflichtet, ab 1. Januar 2025 die Kosten für den Ausstieg in ihre Preiskalkulationen aufzunehmen und über das Ei entsprechend zu vergüten. Es bleibt also nicht ein einzelner Akteur auf den Kosten sitzen.
Daniel Würgler hofft, dass die KonsumentInnen den Mehrwert für das Tierwohl erkennen und bereit sind, dafür etwas tiefer in die Tasche zu greifen: «Wenn die KonsumentInnen auf die billigen Importeier ausweichen, haben wir für das Tierwohl nichts gewonnen.» Dann funktioniert der Ausstieg aus dem Kükentöten wie in den Nachbarländern. Nämlich disfunktional.
Die Kükentöten-Praxis unserer Nachbarländer ist scheinheilig
Deutschland und Österreich haben das Kükentöten schon 2022 aus tierethischen Gründen verboten – die beiden Agrarminister verkündeten diesen Schritt laut und stolz wie ein Gockel auf dem Miststock. Sie konnten sich profilieren, die deutsche Eier-Branche zahlte den Preis: In Deutschland mussten danach die Hälfte der Brütereien schliessen.
Stattdessen werden männliche Küken von Deutschland nach Polen und Holland gefahren und dort getötet. Oder weibliche Junghennen werden von ausländischen Brütereien gekauft, wo die männlichen Küken weiterhin getötet werden. Wenn auf einer deutschen Eierpackung nicht explizit das Logo «ohne Kükentöten» steht, wurde das Problem damit nur verschoben.



