Die Milchkuh wird vom Feindbild «Klimakiller» zum Klimaretter
Milchkühe produzieren Methan – aber sie nutzen Gras effizient und fördern die Biodiversität. Ein Faktenblatt «Kuh und Klima» von Bio Suisse & FiBL zeigt: Kühe sind Teil der Lösung, nicht des Problems.

Kurz & bündig
Das Faktenblatt «Kuh und Klima» von Bio Suisse und FiBL belegt: Milchkühe sind Teil der Lösung, nicht des Problems.
In der Schweiz, in Süddeutschland sowie den alpinen und nordöstlichen Regionen Österreichs sind 70 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche Grasland.
Die Weidewirtschaft mit Milchkühen nutzt dieses Grasland effizient, fördert Biodiversität und schützt Böden vor Trockenheit.
Diese Reportage erzählt, wie sich alte Rassen und neue Erkenntnisse zu einer stillen Klimarevolution verbinden.
Bio-Landwirt Simon Schönholzer steht auf der Weide und beobachtet seine Milchkühe. Er hält eine «eigene Rasse» von Braunvieh-Kühen mit Grauvieh- und Jersey-Einflüssen. Robuste und langlebige Tiere, mit ihren behornten Charakterköpfen sind es Kühe wie aus dem Bilderbuch.
Diese Kühe liefern weniger Milch als moderne Hochleistungsrassen, dafür leben sie länger, sind gesünder – und fügen sich in einen geschlossenen Kreislauf aus Boden, Futter und Mensch.
Sind die Milchkühe von Simon Schönholzer trotzdem «Klimakiller»? Auf der Suche nach einer Antwort besuche ich Fachleute von Bio Suisse und dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL und frage sie: Ist die Kuh Teil des Klimaproblems – oder kann sie sogar ein Teil der Lösung sein?

33 Milchkühe auf der Wiese im Vergleich mit 120’000 Rindern im US-Feedlot
Noch stehe ich aber mit Simon Schönholzer auf der Weide. Der Bio-Landwirt betreibt Weidewirtschaft. Salopp gesagt: gefressen wird, was auf der Wiese wächst.
Seine Kühe bekommen zur Ergänzung nur Heu, eine Handvoll Maiswürfel pro Tag und im Winter Zuckerrübenschnitzel, ein Nebenprodukt der nahen Zuckerfabrik.
Ganz anders in den industrialisierten Milchregionen in Norddeutschland, Belgien und den Niederlanden sowie Dänemark mit Landwirtschaftsbetrieben, die über 1‘000 Milchkühe halten.
Oder in den Feedlots in den USA: bis zu 120’000 Rinder, dicht gedrängt auf Lehmboden. Riesige Futter-Lastwagen bestimmen den Rhythmus – kein Grashalm weit und breit.
Diese US-amerikanischen Hochleistungs-Kühe fressen Silomais als Grundfutter, Getreideschrot als Kraftfutter und Sojaschrot als Eiweiss-Ergänzung. Dazu Vitamine, Antibiotika und hormonelle Wachstumsförderer.

Wieso die Kuh im Grasland keine Klimasünderin ist, sondern Landschaftspflegerin
Simon Schönholzer macht vieles richtig. Aber auch seine Kühe verdauen das Futter im Pansen in einem Gärprozess und rülpsen dabei das Treibhausgas Methan aus. Das lässt sich nicht weg diskutieren.
«Die Kuh als Klimasünderin ist aber nur die halbe Wahrheit», sagt Jasmin Hufschmid. Ich treffe die Projektleiterin Klima von Bio Suisse auf einer Weide, wie sie für das Grasland Schweiz typisch ist.
In der Schweiz sind 70 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche Wiesen und Weiden. So wie in Süddeutschland und im deutschen Mittelgebirge, in den Alpenregionen sowie im Mühlviertel und Waldviertel in Österreich.
In diesen Regionen gilt: wo der Ackerbau aufhört, beginnt das Grasland. «Im Grasland ist die Kuh nicht Klimasünderin, sondern Landschaftspflegerin. Sie wandelt Gras in Milch und Fleisch um, also in hochwertiges tierisches Lebensmittelprotein», erklärt Jasmin Hufschmid.

Bio Suisse und das Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL haben die Fakten analysiert
Jasmin Hufschmid ist Teil eines ad-hoc-Teams von Bio Suisse und dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL. Gemeinsam haben sie Fakten zum «Klimakiller» Kuh dokumentiert, analysiert und in einem neuen Faktenblatt publiziert.
«Die Kuh der Zukunft ist nicht emissionsfrei, aber sie kann im richtigen System klimaneutral leben», sagt Florian Leiber, Leiter der Fachgruppe Nutztierwissenschaften am FiBL.
«Der Mythos von der Kuh als Klimakiller stammt von der Öl- und Gasindustrie. Beim Thema Methan soll man sofort an die Kuh denken – und nicht an die eigentlichen Verursacher der Klimakrise», erklärt Leiber.
Im Unterschied zu den fossilen Energieträgern bringen die Kühe kein zusätzliches CO₂ aus der Erde nach oben. «Das Methan aus den Kühen stammt aus Pflanzen, die kurz zuvor CO₂ aus der Luft gebunden haben. Die Kühe sind Teil eines geschlossenen Kohlenstoff-Kreislaufs», erklärte er.
Wenn die Zahl der Kühe sinkt oder stabil bleibt, stagniert auch der Methan-Beitrag
Das Team von Bio Suisse und FiBL hat das Treibhaus-Potenzial von Methan mit der GWP*-Methode dargestellt. «GWP Stern» berücksichtigt, dass sich die Emissionen im Laufe der Zeit verändern.
«Methan ist ein starkes, aber kurzlebiges Treibhausgas», erklärt Florian Leiber. Ein Methan-Molekül wirkt in den ersten Jahren 80 Mal stärker auf das Klima als CO₂, zerfällt aber nach zwölf Jahren.
Bleibt die Methan-Menge in der Atmosphäre stabil, stabilisiert sich auch ihr Klimaeffekt. Im Gegensatz zu CO₂, das sich über Jahrhunderte anreichert. «Wenn die Zahl der Kühe sinkt oder stabil bleibt, stagniert auch der Methan-Beitrag.»
Und die Zahl der Rinder sinkt in den DACH-Ländern seit 1980 massiv:
🇩🇪 Deutschland von 20,8 Mio. auf 10,3 Mio. (−50 Prozent)
🇦🇹 Österreich von 2,6 Mio. auf 1,8 Mio. (−31 Prozent)
🇨🇭 Schweiz von 2,0 Mio. auf 1,5 Mio. (−25 Prozent)
(Quellen: amtliche Statistiken)
Fachleute erwarten, dass die Zahl der Rinder bald tiefer liegen wird als vor der Industrialisierung der Landwirtschaft um 1890.
Gründe sind die wachsende Milchleistung pro Tier, die sinkende Zahl landwirtschaftlicher Betriebe und wirtschaftlicher Druck auf Milch- und Fleischproduktion.

Rinder sind in vielen Regionen Europas unverzichtbar und ein Teil der Problemlösung
Ganz ohne Kühe geht es aber nicht. Die Rinderhaltung kann – richtig betrieben – Teil der Lösung sein, nicht nur Teil des Problems.
Rinder wandeln Gras in hochwertiges Eiweiss um, fördern Biodiversität und sichern die Bewirtschaftung des Grünlands.
Eine pauschale Reduktion der Tierbestände würde zwar Emissionen senken, gleichzeitig aber wichtige ökologische und versorgungssichernde Leistungen gefährden. Ungenutztes Grünland würde verbuschen, Arten verschwinden, die Selbstversorgung abnehmen.
Sinnvoll ist daher eine regionale Differenzierung:
In überweideten Gebieten wie in Zentralasien oder Nordchina sollte der Tierbestand reduziert werden.
In europäischen Bergregionen dagegen braucht es wieder mehr Weidetiere, um das Grünland zu pflegen und produktiv zu halten.

Die Lösung sind kleinere und länger lebende Milchkühe, Weidemanagement und Verzicht auf Kraftfutter
Bio-Landwirt Simon Schönholzer zeigt, wie nachhaltige Rinderhaltung funktioniert:
Rinderrasse: Er hält eine «eigene Rasse» von Braunvieh-Kühen mit Grauvieh und Jersey-Einflüssen.
Lebensdauer: Seine Kühe leben im Schnitt 7,5 statt 6,0 Jahre – jedes zusätzliche Jahr senkt die Methanbelastung pro Liter Milch.
Weidemanagement: Die Herde wechselt alle ein bis zwei Tage die Parzelle. Das Gras erholt sich, bleibt dicht und artenreich, der Boden widersteht Trockenheit.
Fütterung: 95 Prozent des Futters stammen vom eigenen Hof – Gras, Heu und Nebenprodukte, kein importiertes Kraftfutter.
Nach meinen Recherchen bei Bio Suisse, im FiBL und beim Bio Landwirt Simon Schönholzer weiss ich: Die Diskussion über Kühe und Klima ist ein Spiegel unserer Haltung zu Ernährung und Verantwortung.
Wer nur das Methan sieht, übersieht das Gras, die Böden, die Landschaft – und die Menschen, die daraus Lebensmittel schaffen.
Vielleicht braucht die Klimawende nicht weniger Kühe, sondern mehr Verständnis dafür, was eine gute Kuh leistet – und was wir dafür ändern müssen.
Faktenblatt «Kuh und Klima»
Beiträge der graslandbasierten Biolandwirtschaft zu einer nachhaltigeren Milch- und Fleischproduktion
Florian Leiber, Lin Bautze, Anna Bieber, Verena Bühl, Adrian Müller, Catherine Pfeifer (alle FiBL Schweiz)
Herausgeber FiBL, Bio Suisse, 2025



