Konsequente Nachhaltigkeit: Der Weg der Milch vom Stall in den Supermarkt
Faire Milchpreise für die Bauern, kurze Wege und eine CO₂-neutrale Molkerei: «Simmental Switzerland» zeigt, wie nachhaltige Milchproduktion geht: mit minimalen Emissionen und maximaler Effizienz.

Kürz & bündig
Mit dem Milchsammelwagen unterwegs von Bauernhof zu Bauernhof
Wieso steht ausgerechnet im Naturpark Diemtigtal eine nachhaltige Molkerei?
Nachhaltig kann auch sein, einen preisgünstigen Käse zu produzieren
Was macht die Molkerei und Käserei von «Simmental Switzerland» nachhaltig?
Nachhaltigkeit bedeutet auch soziale Nachhaltigkeit für die Milchbauern
Wie wird aus Rohmilch eine nachhaltige pasteurisierte Vollmilch?
Es ist stockdunkel und eine eiskalte Bise pfeift uns an diesem Wintermorgen um die Ohren, als wir um fünf Uhr morgens aufbrechen. Ich sitze neben dem Fahrer eines Milchsammelwagens der Rolli Transporte AG, einem Traditionsunternehmen für Milchtransporte im Kanton Bern.
Schwere Lastwagen und Nachhaltigkeit? «Ja, denn Nachhaltigkeit bedeutet nicht Totalverzicht, sondern eine verantwortungsvolle Nutzung der Ressourcen für künftige Generationen», erklärt mir CEO Bernhard Rolli. Der ganze Fuhrpark sei zertifiziert CO₂-neutral.
«Unsere Milchsammelwagen fahren mit Euro 6 Motoren, das sind die umweltfreundlichsten und effizientesten Verbrennungsmotoren. Und wir sparen zusätzlich Diesel, weil die Energie für das Umpumpen der Milch ein Akku liefert, der während der Fahrt wieder aufgeladen wird.»

Mit dem Milchsammelwagen unterwegs von Bauernhof zu Bauernhof
Der Fahrer des Milchsammelwagens hat an diesem Wintermorgen aber weniger die CO₂-Bilanz im Blick, sondern gefrorenes H₂O. Die Bauernhöfe, die wir anfahren, sind meist am Ende von kleinen Wegen, teils steil, teils kurvig – die heute mit blankem Eis bedeckt sind.
Vorsichtig manövriert der Fahrer den Milchsammelwagen über die spiegelglatten Strassen im Naturpark Diemtigtal (mehr über den Naturpark am Schluss der Reportage).






Hier, auf kleinen Landwirtschaftsbetrieben, beginnt die Reise der nachhaltigen Milch. Nach einer halben Stunde erreichen wir den ersten von zwölf Bauernhöfen, von denen wir die Rohmilch abholen. Der Fahrer schliesst den Schlauch des Sammelwagens an den Tank im Milchraum des Bauernhofs an. Jeder Handgriff sitzt.
Direkt vor Ort nimmt der Fahrer eine Milchprobe: Fettgehalt, Eiweiss, Temperatur und Hygiene müssen einwandfrei sein. Erst danach wird die Rohmilch in den isolierten Tank des Lastwagens gepumpt. Pro Landwirtschaftsbetrieb sind es rund 800 Liter Milch. Die Pumpen im Milchsammelwagen können diese Menge in 2 Minuten umpumpen.
Noch vor wenigen Jahren musste jeder Landwirt am frühen Morgen seine Rohmilch selbst mit dem Traktor in die lokale Molkerei oder zum Sammelpunkt fahren.
Zwölf Landwirte waren (geschätzt) je eine Stunde und (hin und zurück) 5 Kilometer unterwegs, zusammengerechnet zwölf Stunden und 60 Kilometer.
Ein Fahrer im Milchsammelwagen braucht nur vier Stunden und nur 25 Kilometer für das gleiche Resultat.
Die Milchsammelwagen mit ihrer modernen Technik sind nicht nur ökologischer, sie reduzieren auch den Arbeitsaufwand für die Landwirte. Diese strecken höchstens mal schnell den Kopf zur Stalltüre raus, um den Fahrer zu grüssen, während ihre Milch in den Milchsammelwagen gepumpt wird. Dann arbeiten sie im Stall weiter.
Der ganze Ablauf auf dem Milchsammelwagen ist standardisiert und auf Hygiene sowie Effizienz ausgelegt. Letztere braucht es, damit wir schon um zehn Uhr die Rohmilch von zwölf Landwirtschaftsbetrieben in der Gross-Molkerei «Simmental Switzerland» abliefern können.

Wieso steht ausgerechnet im Naturpark Diemtigtal eine nachhaltige Molkerei?
Die «Simmental Switzerland» ist keine «gewöhnliche» Molkerei und Käserei – sie ist ein Vorbild für Nachhaltigkeit. Bis 2019 wurde ein grosser Teil der Milch aus dem Kanton Bern – traditionell der grösste Milchproduzent der Schweiz – in andere Kantone transportiert, sogar bis an den Bodensee.
«Das war fast schon absurd», erklärt Hansueli Jungen. Der Milchbauer mit 40 Milchkühen ist Vizepräsident der Aaremilch, der Milchproduzenten-Organisation von 1700 Berner Milchbauern.
«Mit einer eigenen Molkerei behalten wir die Wertschöpfung in der Region», erklärt Jungen. Und mit einer daran angeschlossenen Käserei kann die jahreszeitlich unterschiedlich grosse Milchmenge ausgeglichen werden: Das ist wichtig, weil Frischmilch innert zwei Tagen verarbeitet werden muss. Käse kann je nach Sorte monatelang reifen, bis er in den Verkauf kommt.
Vor diesem Hintergrund baute die Aaremilch 2019 auf eigene Initiative mitten im Grünlandgebiet, mit grossem Milcheinzugsgebiet und verkehrstechnisch gut erschlossen eine topmoderne Molkerei und Käserei. Die Gebäude vermietet Aaremilch an «Simmental Switzerland», seit Mitte 2022 ein Unternehmen des Migros-Milchverarbeiters Elsa Group. Migros ist der grösste Detailhändler der Schweiz.
Nachhaltig kann auch sein, einen preisgünstigen Käse zu produzieren
In der Käserei wird vor allem Raclette-Käse der Migros-Marke «Raccard» produziert, aber auch ein M-Budget Raclette-Käse für die Billiglinie der Migros.
In der zweiten Produktelinie wird ein preisgünstiger Grosslochkäse produziert, dessen Name eine Tautologie ist: «Switzerland Swiss». In der Migros wird er unter dem Namen «Simmentaler» verkauft, was nicht nur zufälligerweise wie Emmentaler klingt. Der Unterschied:
«Simmentaler» wird aus Silomilch produziert (Silage ist vergorenes Futter, meist aus Gras oder Mais) und 6 bis 8 Monate in einer Kunststoff-Folie gereift.
Emmentaler AOP wird ausschliesslich aus Rohmilch von Kühen hergestellt, die mit frischem Gras und Heu gefüttert werden. Er reift ohne Kunststoff-Folie 4 bis 24 Monate im Käsekeller.
«Kleine regionale und exklusive Käsespezialitäten gibt es in der Schweiz schon viele», erklärt Matthew Robin, «wir wollen diese nicht konkurrenzieren und fokussieren vor allem auf grosse Volumen und günstige Käsesorten».
Robin ist CEO der Elsa Group von Migros und extra aus Estavayer-le-Lac angereist. Der hier produzierte Raclette-Käse und der «Simmentaler» gehören zur preiswerten M-Budget-Linie. «Nachhaltigkeit wird so auch für Konsumenten mit eingeschränktem Budget erschwinglich.»

Was macht die Molkerei und Käserei von «Simmental Switzerland» nachhaltig?
Das markante Gebäude der Molkerei und Käserei «Simmental Switzerland» wurde 2019 für 40 Millionen Franken nach den modernsten Umweltstandards gebaut. Es setzt auf eine optimierte Energieeffizienz und verwendet umweltfreundliche Materialien.
Die Produktionsstätte setzt auf Holzschnitzel-Heizung und Wasserkraft, wodurch die Käse- und Milchproduktion nahezu CO₂-neutral ist. Zudem kommt die gesamte Milch von Höfen im Naturpark Diemtigtal, was die Transportwege kurz hält.
Auch die Nebenprodukte wie Molke werden sinnvoll genutzt – zur Energiegewinnung oder als Tierfutter. Es ist ein Kreislauf, der Effizienz und Nachhaltigkeit verbindet.
Die Aaremilch ist Mit-Initiantin des Ressourcenprojektes KlimaStaR Milch, welches die Milchbranche 2022 startete. Mit wissenschaftlich abgestützten Erkenntnissen soll die Schweizer Milchwirtschaft klimafreundlicher und ressourceneffizienter werden.
Treibhausgas-Emissionen sowie Nahrungsmittelkonkurrenz (das Verhältnis von menschlich verwertbaren Futtermitteln zur Produktion tierischer Erzeugnisse) und Flächenkonkurrenz um sollen um je 20 Prozent reduziert werden.

Nachhaltigkeit bedeutet auch soziale Nachhaltigkeit für die Milchbauern
«Die auf allen Ebenen effiziente Milchverarbeitung ist nicht nur für die Umwelt nachhaltig, sondern auch für die Landwirte», betont CEO Matthew Robin.
Die Milchbauern erhalten einen überdurchschnittlichen Milchpreis von 70 bis 75 Rappen pro Kilo Milch. Die Elsa Group zahlt den Milchbauern damit 2 bis 3 Rappen mehr als andere Molkereien.
Matthew Robin muss zum nächsten Meeting. Ich verfolge aber weiter den Weg der 10’000 Kilo Rohmilch (10 Tonnen), die wir heute Morgen mit dem Milchsammelwagen angeliefert haben.
«Simmental Switzerland» verarbeitet jährlich 60 Millionen Kilo Milch (60’000 Tonnen). Damit man sich diese Menge vorstellen kann, das wäre:
Ein 15 Kilometer langer Güterzug mit 1000 Kesselwagen.
Eine Badewanne voll Milch für jeden der 9 Millionen Einwohner der Schweiz.
«Simmental Switzerland» produziert aus dieser Milchmenge jährlich 25 Millionen Kilo zu Trinkmilch und 35 Millionen Kilo zu Käse.
Wie wird aus Rohmilch eine nachhaltige pasteurisierte Vollmilch?
Die Rohmilch aus unserem Milchsammelwagen von heute Morgen wird zu pasteurisierter Vollmilch mit dem Label «Bergmilch» verarbeitet. Die Landwirtschaftsbetriebe müssen dafür im Berggebiet stehen, das durch die Höhenlage, Topografie und klimatischen Bedingungen exakt definiert ist.
Die Milch kommt nicht nur aus dem Berggebiet, sie muss auch im Berggebiet verarbeitet werden. Das 120 Meter lange Betriebsgebäude von «Simmental Switzerland» steht am Eingang zu Diemtigtal, einem Seitental des Simmentals (die Heimat des bekannten Simmentaler Fleckviehs) im Berner Oberland. Die Molkerei liegt auf 640 Meter Höhe (Bergzone I beginnt ab 600 Meter), der höchste Punkt ist auf 2652 Meter die Männliflue.

Bei der Anlieferung der Rohmilch werden noch einmal Proben genommen und auf Fett, Eiweiss und mögliche Verunreinigungen geprüft. Anschliessend wird die Milch gereinigt, um Schmutzpartikel und Bakterien zu entfernen.
Rohmilch hat einen Fettgehalt von 3,8 bis 4,5 Prozent, für Vollmilch wird dieser auf 3,5 Prozent reduziert. Der Grund für diese Reduktion ist, dass viele Konsumenten einen höheren Fettgehalt ablehnen.
Danach sorgt ein spezieller Prozess dafür, dass sich der Rahm nicht absetzt und die Milch einen gleichmässigen Geschmack erhält. In einem weiteren Schritt wird die Milch auf 72 bis 75 Grad erhitzt, um Keime abzutöten. Geschmack oder Nährstoffe werden dadurch nicht beeinträchtigt.
Nach der Pasteurisierung wird die nun pasteurisierte Milch schnell auf 4 Grad abgekühlt, abgefüllt und mit dem Label «Bergmilch» versehen in die Kühlkette überführt, bevor sie in die Migros-Filialen der Kantone Bern, Solothurn und Aargau verteilt wird.
Der Fahrer des Milchsammelwagens ist nach einem währschaften Mittagessen schon lange wieder unterwegs für die zweite Tour des Tages. Wieder quer durch den Naturpark Diemtigtal. Wieder auf kleinen Wegen, teils steil, teils kurvig – aber wenigstens nicht mehr mit Eis bedeckt.

Der Naturpark Diemtigtal
Ein Naturpark ist ein geografisch abgegrenztes Gebiet, das besondere natürliche, landschaftliche und kulturelle Werte aufweist.
In der Schweiz gibt es 15 regionale Naturparks. Einer davon ist der 136 Quadratkilometer grosse Naturpark Diemtigtal. Das Diemtigtal ist ein Seitental des Simmentals im Berner Oberland in der Schweiz.
Das Ziel des Naturparks Diemtigtal ist es, diese wertvolle Kulturlandschaft zu schützen, zu erhalten und nachhaltig zu nutzen. Gleichzeitig soll die Gemeinde Diemtigen im Naturpark Diemtigtal mit nur 2250 Einwohnern wirtschaftlich gefördert werden, ohne die Natur zu schädigen.


