Mit 55 Prozent weniger Fleisch essen, verbessern wir unsere Gesundheit und das Klima
Weniger Fleisch essen ist einer der grössten Hebel für eine nachhaltige Ernährung und das Klima. Warum wir den Fleischkonsum senken müssen – und wie wir das ohne Verzicht und sogar mit Gewinn können.

Kurz & bündig
Wenn wir 55 Prozent weniger Fleisch essen, verändert sich ein ganzes System ins Positive: Unsere Gesundheit, die Treibhausgas-Emissionen und die Nutztierhaltung.
Der Anteil der Treibhausgas-Emissionen durch Nutztierhaltung in der Landwirtschaft würde damit von 5,2 auf 2,3 Prozent sinken.
Wer seinen Fleischkonsum reduziert, verändert nicht nur die Treibhausgas-Emissionen, sondern die Perspektive: Weg vom reflexhaften Fleischessen, hin zu einer Ernährung, die trägt.
Sieben einfache Alltagsstrategien zeigen, wie Veränderung ohne Verzicht gelingt – und warum Routine stärker ist als jeder Neujahrs-Vorsatz.
Weihnachten. Der Duft des Schweinekrustenbratens hängt noch in der Küche. Dicke Schwarte, Fett, Kümmel, schwere Sauce – ein Festtags-Klassiker, der mehr als satt macht. Am Tisch fasse ich einen Vorsatz: Im neuen Jahr esse ich weniger Fleisch.
Ich weiss, wie stark unsere Ernährung das Klima belastet und dass weniger Fleisch ein wirksamer Hebel wäre. Nur: Wo fange ich an?
Das war vor einem Jahr. In der Zwischenzeit habe ich gründlich recherchiert. Ich habe Bücher gelesen und bei Wissenschaftlern Antworten gesucht, warum «weniger Fleisch» nicht nur möglich ist, sondern ein Genuss und Gewinn sein kann.
Wieviel Fleisch essen wir jeden Tag?
In Deutschland, Österreich und der Schweiz (DACH-Länder) essen wir zuviel Fleisch. OK, die Amerikaner essen noch mehr Fleisch – aber will ich mich mit einem Amerikaner vergleichen, der zwei Flugzeugsitze braucht?
Österreich: 58,0 Kilo/Jahr oder 160 Gramm/Tag
Deutschland: 52,9 Kilo/Jahr oder 150 Gramm/Tag
Schweiz: 50,0 Kilo/Jahr oder 137 Gramm/Tag
Die genannten Pro‑Kopf‑Zahlen beruhen auf Daten der jeweiligen Ministerien und Branchenorganisationen in Deutschland (BMEL/BZL), Österreich (Statistik Austria AMA) und Schweiz (BFS/Proviande).
Die Zahlen zeigen eine unbequeme Wahrheit: Wir essen immer noch deutlich mehr Fleisch, als unsere Gesundheit und die Umwelt langfristig verkraften. Und weit über den Empfehlungen, welche Gesundheits- und Umweltforscher für eine nachhaltige Ernährung formulieren.

450 Gramm Fleisch pro Woche sind für Gesundheit und Klima gesund
Die Empfehlungen der nationalen Ernährungsgesellschaften und Ministerien in Deutschland (DGE), Österreich (Sozialministerium) und der Schweiz (BLV) liegen eng beieinander:
Fleisch nur drei Mal pro Woche
1 Portion Fleisch oder Wurst
1 Portion Fisch
1 zusätzliche Portion Fleisch oder Fisch
Eine Portion Fleisch oder Wurst entspricht 150 Gramm. Das ergibt 450 Gramm Fleisch pro Woche oder 24 Kilo pro Jahr – ein Bereich, der deutlich gesünder und klimafreundlicher wäre als der heutige Fleischkonsum von 50 bis 58 Kilo pro Jahr in den DACH-Ländern.
Die Planetary Health Diet als globale Referenz setzt den Massstab noch tiefer: 150 Gramm Fleisch pro Woche! Ein Ziel, das viele Fachleute und erst recht die Politiker als unrealistisch bezeichnen.
Wissenschaft und Politik sind sich in einem Punkt einig: Die Frage lautet nicht, ob wir den Fleischkonsum senken müssen. Die Frage ist, wie schnell wir das Ziel erreichen können.

Die Forschung weiss, warum wir zuviel Fleisch essen
Zahlen zeigen Mengen, aber sie erklären unser Essverhalten nicht. Soziale Praktiken prägen, wie wir essen. Und genau diese untersucht Thomas Brunner, Professor für Konsumentenverhalten an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL in Bern.
«Unser Fleischkonsum ist vor allem ein soziales und kulturelles Verhalten – tief verankert in Routinen, Ritualen und Identität», erklärt Brunner. Wir essen Fleisch nicht wegen des Nährwerts, sondern weil es sich vertraut, normal und sozial bestätigt anfühlt.
Wer weniger Fleisch essen will, braucht deshalb nicht mehr Wissen, sondern alltagstaugliche Alternativen und das Vertrauen, dass Veränderung machbar ist. Gesundheits-Argumente überzeugen stärker als Klima- oder Tierwohl-Argumente. Und feste Routinen erleichtern den Einstieg.

Supermärkte und Kantinen beeinflussen den Griff zum Fleisch
In den Supermärkten liegen Steaks und Pouletbrust griffbereit. 150 Gramm Pouletbrust kostet in Deutschland und Österreich nur zwei Euro, in der Schweiz drei Franken – oft noch billiger. Denn billiges Fleisch ist ein hartes Preisargument im Wettbewerb des Lebensmittelhandels.
Bei Schweinefleisch und Geflügel reagieren die KonsumentInnen besonders stark auf Rabatte – deutlich stärker als bei Rind.
Es geht aber auch umgekehrt, wie ein Experiment der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW zeigt. Als in der Hochschul-Kantine vegetarische/vegane Gerichte ohne «Vegi»-Kennzeichnung gleichwertig neben Fleischgerichten angeboten wurden, wählten deutlich mehr Gäste das «Vegi»-Menü, das durch visuelle Vielfalt auffällt: mehr Farben, mehr Komponenten, ein insgesamt lebendigerer Teller.
«Die Essgewohnheiten ändern wir nur, wenn der Alltag neue Möglichkeiten eröffnet», weiss Brunner. Diese Erkenntnis zeigt, dass Veränderung funktioniert, wenn sie sich nicht wie Verzicht anfühlt.
«Wir essen dann weniger Fleisch, wenn der Alltag eine Option bietet, die sich genauso selbstverständlich anfühlt wie das, was sie ersetzt», fasst Thomas Brunner seine Forschung zusammen.
Das Ziel: drei «Fleisch-Tage» pro Woche mit kleineren Fleischportionen
Wir könnten uns ein ambitioniertes Ziel setzen und es radikal durchziehen. Wie gut gute Vorsätze funktionieren, kann man im Fitnesscenter sehen: Im Januar sind alle Geräte und Kurse besetzt. Je länger das Jahr dauert, desto weniger Leute kommen ins Training.
Eine sanftere Methode wirkt besser. Wir halbieren die bisherige Menge Fleisch und essen nur noch an drei «Fleisch-Tagen» pro Woche eine Portion Fleisch von je 150 Gramm.
Eine Portion könnte so aussehen:
1 Wiener Schnitzel, 1 Portion Geschnetzeltes oder 1 Burger-Patty
1 Pouletbrust, 1 Pouletschenkel oder 2 bis 3 Pouletflügel
1 Bratwurst oder 2 Wiener Würstchen
Dieses Ziel ist konkret, messbar, alltagstauglich und realistisch. So setzen wir gute Vorsätze um, ohne am Alltag zu scheitern.

Sieben Strategien helfen, im Alltag weniger Fleisch zu essen
Fleisch nicht abschaffen, sondern ergänzen: Reduktion gelingt leichter, wenn Fleisch zur Beilage wird. Hackbraten und Bolognese mit halb Linsen und halb Fleisch schmecken vollwertig. Auch Schmorgerichte lassen sich gut mit Gemüse oder Hülsenfrüchten strecken.
Drei «Fleisch-Tage» pro Woche: Drei feste Tage schaffen Routine: zum Beispiel Mittwoch, Freitag (gerne mit Fisch) und Sonntag. Das klingt harmlos, senkt den Konsum aber deutlich über das Jahr.
Hülsenfrüchte als neue Lieblingszutaten: Kichererbsen-Curry, Pasta mit Bohnenragout oder Linsen in der Tomatensauce sättigen gut und sind schnell gekocht. Studien zeigen, dass proteinreiche Pflanzenkost das Sättigungsgefühl stabil hält.
Kochen einfacher machen: Oft fehlt nicht der Wille, sondern die Idee. Drei bis fünf fleischfreie Standardgerichte genügen: Chili sin Carne, Risotto, Omelette, Ratatouille oder Dhal. Je tiefer die Einstiegshürde, desto grösser der Effekt.
In der Gemeinschafts-Gastronomie anders bestellen: Kantinen servieren oft zu grosse Portionen. Wer halbe Portionen wählt oder die vegetarische Option testet, reduziert automatisch die Fleischmenge. Einige Betriebe experimentieren bereits mit vegetarischen Standard-Gerichten, bei denen Fleisch aktiv bestellt werden muss.
Qualität statt Quantität: Besser einmal pro Woche Weidefleisch als dreimal Billigfleisch. Herkunft und Bio-Siegel geben Orientierung; regionale und saisonale Einkäufe stärken lokale Betriebe. Das verändert das Essverhalten und macht Genuss intensiver.
Kleine Experimente statt grosse Vorsätze: Jeden Monat ein neues fleischloses Gericht testen. Kleine Schritte wirken nachhaltiger als ehrgeizige Programme.
Alltagstaugliche Tipps findest Du im Jahresplan «Weniger Fleisch. Mehr Klima. Mehr Genuss.»
📥 Den Jahresplan (nur Januar) kostenlos herunterladen (PDF, 28 MB)
Der Jahresplan zeigt Monat für Monat, wie man diese Verhaltensänderungen umsetzen kann.
So profitieren wir, wenn wir unseren Fleischkonsum halbieren
Gesünder leben: Weniger Fleisch, vor allem weniger verarbeitetes, senkt das Risiko für Herzkrankheiten, Krebs und Übergewicht. Mehr pflanzliche Vielfalt entlastet den Stoffwechsel.
Geld sparen: Hülsenfrüchte, Eier, Gemüse und Getreide kosten weniger als viele Fleischportionen. Wer weniger, dafür hochwertiger kauft, zahlt meist gleich viel oder sogar weniger.
Einfacher kochen: Viele Alternativen sind schneller zubereitet, länger haltbar und flexibler im Alltag.
Mehr Abwechslung: Mit weniger Fleisch wächst die Vielfalt auf dem Teller – Gewürze, Gemüse und neue Kombinationen rücken nach vorn.
Weniger Ballast: Man isst entspannter, weil weniger Rechtfertigung und Grübeln über Gesundheit und Herkunft nötig sind.

So verändern 55 Prozent weniger Fleischkonsum Gesundheit, Klima und das Ernährungssystem
Was wir essen, entscheidet nicht nur über unsere Gesundheit. Wenn wir unseren Fleischkonsum auf 24 Kilo pro Jahr senken, ändern wir unser Verhalten moderat – unsere Gesundheit, das Klima und das Ernährungssystem verbessern wir jedoch deutlich.
Eine Reduktion um 55 Prozent würde den jährlichen Fleischverzehr in Deutschland, Österreich und der Schweiz von 5,4 auf 2,4 Millionen Tonnen senken. Das entspricht einer Einsparung von 3 Millionen Tonnen Fleisch pro Jahr.
Verteilen wir diese Reduktion gleichmässig auf Rind, Schwein und Geflügel, entfallen rund 3,3 Millionen Rinder, 11 Millionen Schweine und 590 Millionen Masthühner, die nicht mehr gezüchtet und geschlachtet würden.
Herleitung zu den Modellrechnungen in diesem Beitrag: «Was es für Landwirtschaft und Klima bedeutet, wenn wir weniger Fleisch essen».
Mit halb so grossen Fleischkonsum geht es dem Klima doppelt so gut
Für das Klima hätte dieser Schritt eine klare Wirkung. In den DACH-Ländern produziert die Nutztierhaltung (Methan aus Verdauung und Emissionen aus Gülle/Mist, ohne Ackerböden, Dünger, Energie) 45 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente pro Jahr.
Mit 55 Prozent weniger Fleischkonsum könnten wir die Treibhausgas-Emissionen der Nutztierhaltung auf 20 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente senken.
Der Anteil der Nutztierhaltung an den gesamten Treibhausgas-Emissionen der DACH-Länder würde von 5,2 Prozent auf 2,3 Prozent sinken. Für die einzelnen Länder gerechnet:
Deutschland: 4,7 Prozent => 2,1 Prozent
Österreich: 7,0 Prozent => 3,1 Prozent
Schweiz: 11,2 Prozent => 4,9 Prozent
Die Treibhausgas-Emissionen der gesamten (!) Landwirtschaft betragen je nach Land 7 bis 14 Prozent. In dieser Modellrechnung wird nur die Nutztierhaltung berechnet und diese proportional in allen drei Ländern reduziert.
Die Reduktion der Treibhausgas-Emissionen von 5,2 Prozent auf 3,6 Prozent wirkt auf den ersten Blick klein – ist aber einer der wenigen Bereiche, in denen Emissionen von uns KonsumentInnen direkt im Alltag beeinflusst werden können.
Drei Mal pro Woche 150 Gramm Fleisch wirkt wie ein systemischer Schalter – weg vom volumengetriebenen Modell, hin zu einer Landwirtschaft, die die Landschaft nutzt, statt sie zu überfordern.
Wir können die Ernährungswende nicht delegieren. Wir essen sie herbei – jeden Tag, jede Woche, jede Portion.
Wie sieht es bei dir aus?
Wärst du bereit, deinen Fleischkonsum zu reduzieren – zum Beispiel auf drei «Fleisch-Tage» pro Woche? Oder tust du das bereits? Schreib in die Kommentare, was für dich gut funktioniert, wo es hakt und was dir den Schritt leichter oder schwerer macht.





«Dieser Bericht ist schlichtweg überflüssig. Einfach in die Kerbe des Zeitgeists zu schlagen, ist keine journalistische Leistung», schreibt ein Leser per Mail.
Wenn ich «in die Kerbe des Zeitgeists schlagen» wollte, dann hätte ich einen radikalen Fleischverzicht gefordert. Mit Betonung auf radikal und gefordert.
Ich mache aber den Vorschlag für eine freiwillige Reduktion des persönlichen Fleischkonsums. Mit Betonung auf Vorschlag, freiwillig und weniger Fleisch.
Das sind «kleine» Nuancen, welche den grossen Unterschied machen.
Ich bin ja großer Fan des inkonsequenten Vegetarismus. Ich weiß nicht warum das immer als "ganz-oder-gar-nicht" Entscheidung gesehen wird. Jedes Stück Fleisch das man weniger isst hilft der Gesundheit, dem Klima, der Landwirtschaft...